Lance Armstrong, der Mann, der denkt, der Krebs gehört ihm, steht offenbar kurz vor seinem Comeback. Jüngst wurde er in Australien gesichtet, wo er gemeinsam mit seinem Astana-Team das Training aufnehmen will, um am Sonntag bei der 'Tour down under' im Wettkampf anzutreten. In einem Alter, in dem Erik Zabel (auch schon recht spät) seine Karriere beendet hat, kommt Armstrong also zurück - mit der Ankündigung im Gepäck, dieses Jahr nicht nur die Tour de France fahren zu wollen, sondern auch gleich noch den Giro und diverse andere Weltklasserennen.
Wie oft will der Mann den Krebs eigentlich noch besiegen, fragt man sich. Denn unter diesem Gestirn steht sein Bemühen noch immer, glaubt man seiner Selbstdarstellung: Mehr Aufmerksamkeit für den 'Kampf gegen Krebs' diktiert er der Presse als Begründung für seinen erneuten Antritt in die Notizblöcke, was soviel heißt wie mehr Publicity für seine Live-Strong-Stiftung. Symbolische Auftritte also, Radsport als Charity-Veranstaltung? Wie sollte man das kritisieren?
Krebs und Karriere sind bei Armstrong nicht zu trennen, sind komplementäre Teile eines schon zu Lebzeiten gebildeten Mythos. Eine in den Strapazen der Chemotherapie gestählte Willenskraft habe die Erfolge im Sport erst möglich gemacht, so lautet die Botschaft: Man muss nur wollen, dann kann man es schaffen. Diese Willenskraft steht als Alpha und Omega im Zentrum des Mythos Armstrong und dieser Mythos hat ihn alle Angriffe unbeschadet überstehen lassen. Man hat ihn immer als Solitär wahrgenommen, als einen der im Gegensatz zu allen anderen schon nahe am Abgrund des Todes stand und aus dieser Erfahrung alleine alle Energie zu ziehen fähig war.
Dieser Mythos ist aber letztlich nur die Tünche über einer anderen Wahrheit: Das verbindende Element zwischen Talfahrt und Gipfelsturm hört nicht auf den Namen Willenskraft, sondern liegt in der modernen Medizin begründet. Das geht bis in die Identität der Substanzen, denn EPO wird nicht nur zur Leistungssteigerung genutzt, sondern auch in der Onkologie zur Schadensbegrenzung bei immer höher dosierten Chemotherapien.
Armstrongs Autobiographie 'Tour des Lebens' ist nicht ohne Wahrhaftigkeit. Zwischen der kämpferischen Selbstversäulung, die dort betrieben wird, gibt es immer wieder Passagen authentischer Erfahrung, die auch beschreiben, wie hohl die Phrase vom 'Kampf gegen den Krebs' eigentlich ist. Denn die Stärksten und Entschlossensten werden von ihren Metastasen aufgefressen während die Jammerlappen dem Tode entkommen. So lautet eine jener Beobachtungen, die die Rede vom 'Kampf gegen den Krebs' auf das beschränkt, was sie eigentlich nur meinen kann: Die Therapie und ihre Folgen durchzustehen. Und dann auf das Ergebnis zu warten.
Lance Armstrong hatte verdammtes Glück. Auf Fatalismus lässt sich aber keine Karriere aufbauen. Deshalb muss er sich irgendwann entschlossen haben den Zufall durch die Planung zu ersetzen, um dem ersten Triumph weitere folgen zu lassen - und hier liegt dann trotz aller Kontinuität doch ein Bruch: Im Sport ist Wirkung potenter pharmakologischer Substanzen berechenbar, beim Krebs ist sie es kaum.
Armstrongs Gang aus der Onkologie zurück auf den Fahrradsattel bleibt ein weiter Weg und nötigt trotz allem tiefen Respekt ab. Aber das Heldische daran entrückt ihn nicht und bleibt menschlich-ambivalent im guten wie im schlechten Sinne. Auch bin nicht sicher, ob der Triumphalismus, der im Mythos Armstrong steckt, der Krebsproblematik förderlich ist. Denn das Gewinnenkönnen ist oftmals schlichte Lüge, der Glaube daran aber vielen Betroffenen unabdingbar.
martin >>
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